Profil

Mein Bild
Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten, Niederösterreich, Austria
Seit 2011 gibt es den Museumsblog. Bis 31. Juli 2016 waren es Themen, die im Zusammenhang mit den drei Kernbereichen des Landesmuseum Niederösterreich (Geschichte - Kunst - Natur) standen. Mit 1. August 2016 wird das Landesmuseum zum Museum Niederösterreich und somit ist der Museumsblog unter neuer Adresse zu finden: www.museumnoe.at/de/das-museum/blog

18. Juni 2015

#18 „Zu morgens den Harn zum Doktor getragen…“

Die meisten der uns heute geläufigen Untersuchungsmethoden in einer ärztlichen Praxis waren in der Vergangenheit noch unbekannt. Dazu gehören körperliche Untersuchungen ebenso wie alle Methoden der Labordiagnostik usw. Die Perkussion etwa, das Abklopfen der Körperoberfläche wurde erst 1761 vom Grazer Arzt Joseph Leopold von Auenbrugger 1761 beschrieben. Die Auskultation, das Abhören des Körpers, entwickelte 1816 der französische Arzt René Théophile Hyacinthe Laënnec.

Arzt führt eine Harnbeschau durch
Holzschnitt aus: Francesco Petrarca,
Von der Artzney bayder Glück,
Augsburg 1532 (© Privatbesitz)
Die ältesten diagnostischen Methoden waren die Pulsdiagnose und die Harnschau. Schon die griechischen Ärzte der Antike wie Diogenes von Apollonia, Hippokrates oder Praxagoras von Kos versuchten anhand einer Untersuchung des Pulses an Hand, Schläfen, Hals, Lenden oder Knie Rückschlüsse auf den Gesundheitszustandes des Patienten zu ziehen.
Die Harnschau war wichtiger Bestandteil des vormodernen medizinischen Alltags. Bis weit ins 18. Jahrhunderts hinein wurde ihre Aussagekraft nicht in Frage gestellt, diente sie als wichtiges Diagnosemittel, um Krankheiten zu erkennen und die notwendigen Therapien einzuleiten. Auch sie geht auf die antiken Autoritäten zurück. Untersucht sollte der Harn nach charakteristischen Veränderungen der Konsistenz, der Farbe und der Beimengungen. Weitere Kriterien waren Harnmenge, Geschmack und Geruch.  

Die Harnschau war Inhalt zahlreicher medizinscher Schriften, zunächst im Mittelalter noch Handschriften, dann mit Aufkommen des Buchdrucks Drucke, die sich sowohl an Mediziner wie auch an Laien wendeten. Bei der Konsistenz unterschied man in diesen medizinischen Texten zwischen dickem (grobem) und dünnem Harn und einer Konsistenz, die dazwischen lag und als gesunder Harn galt. Dicker Harn war u.a. an seiner dunkleren Farbe zu erkennen, dünnflüssiger Harn an einer wässrigen. In einem italienischen Harntraktat zog man als Vergleich Weinsorten heran: ein dicker Harn sei dem Paduaner Wein ähnlich, ein dünner einem Wein von wässriger Substanz.


Ausstellungsansicht: unterschiedliche Harnfarben (© Landesmuseum Niederösterreich, Foto: C. Hauer)

Die Harntraktate enthielten sog. Harnfarbenkreise, die der Klassifizierung der Harnfarben dienten. Die Farbbezeichnungen folgten einem durch Jahrhunderte standardisierten Kanon. Das Farbspektrum reichte von Weiß bis Schwarz. Um die Farben für den Benutzer fassbar zu machen, wurden zur Definition der Farben Vergleiche aus dem Alltag herangezogen:
Harn konnte „weiß sein als Wasser; weiß als Milch, da das Schmaltz von gemacht ist; weiß als ein durchsichtiges Horn; bleich als ein Kamels Farb [an diesem Vergleich erkennt man aus welchem Kulturbereich, nämlich dem arabischen, die Schriften gespeist wurden]; bleich als Brüh, so Fleisch halb gekocht ist; bleich als Fleischwasser; gelb als ein bleicher Apfel; gelb als schöne Quitten; roth als bleich Gold; roth als schön Gold; roth als liechter Saffran; roth als satter Saffran; roth als Flamme des Feuers; Leberfarb; eine Farb als dicker rother Wein; grün als Krautsaft; grau als Bley; Schwartzfarb als ein Dinten; schwartz als ein Horn.“

Die Farben in den zeitgenössischen Harnfarbentafeln variieren stark. Bei den Handschriften gab es ja für den, der die Kolorierung durchführte, vermutlich in den meisten Fällen wenigstens eine direkte Vorlage, an der er sich halten konnte. Anders lief es bei den Drucken. Hier wurde sehr frei koloriert. Oft stimmen die verwendeten Farben überhaupt nicht mit den im Text beschriebenen Farben überein.
Die dritte Untersuchung des Harns galt den Beimengungen. Dabei war nicht nur die Konsistenz dieser Beimengungen wichtig, sondern auch deren Lokalisierung im Harnglas. Man unterschied drei Zonen: Beimengungen, die an der Oberfläche sich sammelten, solche, die auf den Boden des Glases absanken, und solche, die in der Flüssigkeit schwebten. Manche Autoren reihten in ihrer Interpretation die drei Abschnitte des Glases den mutmaßlich betroffenen Körperregionen zu: Beimengungen, die an der Oberfläche schwammen, deuteten auf eine Erkrankung des Kopfes, solche in der Mitte des Glasbereiches auf Probleme mit dem Brustbereich und das Sediment am Glasboden auf Erkrankungen im Bereich unterhalb der Rippen. Schaumbildung z. B. wurde als unzureichende Verdauung interpretiert. Bleifarbene  Wolken im Harn galten als Hinweis auf Schwindsucht, grünliche oder gelbliche Wolken als Hinweis auf Galle.

Der Arztbesuch (Detail)
Jan Miense Molenaer (um 1610-1668, Haarlem), um 1668
(© Privatbesitz)
Besonders wichtig für eine präzise und verlässliche Harndiagnose war der richtige Umgang mit dem Harn. Der Harn musste zur richtigen Zeit gewonnen werden: Es sollte der erste Harn gleich am frühen Morgen sein. Kranke sollten den gesamten Harn abgeben. Wichtig war auch, jegliche Verunreinigung zu vermeiden. Das Harngefäß, mit dem man dem Harn zum Arzt brachte, sollte aus durchsichtigem Glas sein, da man das Umleeren des Harns in ein geeignetes Glas erst in der Praxis vermeiden sollte. Als Form des Glases empfahl man ein bauchig ausgeweitetes Gefäß, das in seiner Form der Harnblase ähnelte. Bei der Harnschau sollte das Glas gegen das Licht oder gegen eine helle Wand gehalten werden. Durch schräges Halten und langsam kreisenden Bewegungen ließen sich am besten die Ablagerungen im Harn beurteilen.
      
In vielen Fällen kam der Harnbeschauer mit dem betroffenen Kranken nicht einmal in persönlichen Kontakt. Der Harn wurde zur Untersuchung vorbeigebracht und mit meist nur sehr spärlichen Informationen zum Zustand des Kranken überreicht. Diese Praxis löste in der frühen Neuzeit zunehmend ein Unbehagen bei den ärztlichen Autoren aus. Empfahlen sie doch den Ärzten einen persönlichen Krankenbesuch und eine ausführliche Befragung desselben – das, was wir heute als Anamnese bezeichnen.

Ganz verschwand die Harnschau nie. Als sie mehr und mehr aus den Praxen der Ärzte verdrängt wurde, boten Quacksalber, Naturheiler  u.a., die schon davor den Medizinern auf diesem Gebiet Konkurrenz gemacht hatten, weiter diese Dienste an. So praktizierte in Rachling bei Stainz bis zu seinem Tod 1935 der Wunderdoktor „Höllerhansl“, zu dem die Menschen von weit her pilgerten, um ihren Harn beschauen zu lassen. Der Zug der schmalspurigen Lokalbahn, mit dem die Patienten von Stainz nach Rachling kamen, hieß im Volksmund der „Flascherlzug.“

Lit.: Michael Stolberg, Die Harnschau. Eine Kultur- und Alltagsgeschichte. Köln 2009.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

12. Juni 2015

#17 Vom Leibarzt zum Gemeindearzt


Den Besuch bei einem an einer Universität ausgebildeten Arzt konnten sich in Zeiten ohne Krankenkasse nur wenige leisten. Herrscher und Adelige hatten ihre Leibärzte. Frei praktizierende Ärzte fanden eine zahlungskräftige Klientel in den größeren Städten. 

Bestallungsbrief für einen Stadtphysikus
Waidhofen an der Ybbs, um 1660
(© Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv)
Unter dem Eindruck der permanent drohenden Seuchengefahr kam es ab dem 16. Jahrhundert zu ersten durchgreifenden Neuerungen in der Organisation des Gesundheitswesens. 1577 verlangten die Niederösterreichischen Landstände – ein Organ, vergleichbar dem heutigen Landtag – die Anstellung eines Medicus als Landschaftsarzt, der sie in Sachen Gesundheitswesen beraten sollte. In der Folge wurden sie an der Wiener Universität vorstellig und baten um Vorschläge für einen geeigneten Arzt.

1584 wurden diesem Landschaftsarzt die Viertelsärzte unterstellt: in Melk für das Viertel ober dem Wienerwald, in Wiener Neustadt für das Viertel unter dem Wienerwald, in Waidhofen an der Thaya für das Viertel ober dem Manhartsberg und in Mistelbach für das Viertel unter dem Manhartsberg. Ihr jährlicher Sold betrug 200 Gulden. Dem Viertelmedicus unterstanden die in der Region praktizierenden Ärzte, die Bader, Wundärzte, Chirurgen,  Apotheker und Hebammen des jeweiligen Viertels, die er zu überwachen hatte. Weiters hatte er dafür zu sorgen, dass die Verordnungen zur Seuchenbekämpfung eingehalten wurden und alle anderen Sanitätsmaßnahmen; dazu zählten auch die tierärztlichen Belange.  Die Viertelärzte selbst mussten ihre PatientInnen kostenlos behandeln. Diese hatten nur für die Kosten der Medikamente und für allfällig anfallende Reisekosten aufzukommen. Daneben gab es aber auch in manchen Gegenden bereits fortschrittliche Grundherren, die Ärzte für die Betreuung ihrer Untertanen beschäftigten, so etwa die Liechtensteiner in Mistelbach.

Bestallungsbrief für einen Stadtphysikus
Waidhofen an der Ybbs, um 1660
(© Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv)

Eine durchgreifende Neuorganisation des Sanitätswesens veranlasste Kaiserin Maria Theresia. Federführend war ihr Leibarzt, der Niederländer Gerard van Swieten. Zunächst wurde 1753  eine „Medizinalordnung“ publiziert, die die Berufspflichten der Ärzte und Apotheker regelte. Das Hauptwerk war dann das von der Sanitätshofdeputation erarbeitete und am 2. Jänner 1770 publizierte „Sanitätshauptnormativ“, das am 10. April 1773 noch durch eine Erläuterung und Zusätzen ergänzt wurde – „zu jedermanns leichterem Begriff“. Die ersten vier Paragraphen regeln die Organisation des Sanitätswesens: In jedem Erbland, so auch in Niederösterreich, wurde eine „Sanitäts-Commission“ eingerichtet, die der jeweiligen Landesregierung unterstellt war. Ihr Vertreter vor Ort war der Kreishauptmann oder Vorsteher in den Kreisen und Distrikten. Sie hatten über die Zustände zu berichten und darauf zu achten, dass alle Verordnungen von den mit Sanitätsangelegenheiten befassten Personen auch eingehalten wurden.

Die folgenden Paragraphen legen Aufgabe und Pflichten der Medici fest. Die nach behördlicher Ordnung aufgenommenen und bestätigten Land- und Stadt-Physici hatten in ihren Bezirken dafür zu sorgen, dass Chirurgen, Bader, Apotheker und Hebammen ihrer Arbeit korrekt nachkamen. Sie mussten jährlich ohne Vorankündigung alle Apotheken in ihrem Bezirk kontrollieren und hatten darauf zu achten, dass keine Marktschreier, Quacksalber, Landstreicher oder andere unbefugt Kranke betreuten und Arzneien verkauften. Abschnitt 7 beschäftigt sich mit dem sittlichen Verhalten der Medici: „Sie haben ihr Amt bey Reichen, und Armen mit gleichen Eifer zu pflegen, dem Kranken mit Liebe zu begegnen, vorzüglich aber auf sein Seelenheil Sorge zu tragen …“. Und er regelt ihre Arbeitszeit: Ohne Erlaubnis dürfen sie sich nachts nicht von ihrer Wirkungsstätte entfernen. Der erste Teil des Sanitätshauptnormativ schließt mit der Eidesformel für die Medici.

Sanitätshauptnormativ
Wien, 2. Jänner 1770
Stift Altenburg, Archiv
(© Elisabeth Vavra)
Der zweite Teil des Hauptnormativs umfasst die Instruktion für die Wund-Ärzte und Bader. Die Abschnitte 13 bis 16 regeln die Ausbildung und Organisation der Wundärzte (Chirurgen): „Zu diesem Ziel und Ende sollen: Ordentliche Gremia, oder die sogenannte Lade der Wundärzte, in jedem Kreise oder Viertel des Landes, wo noch keine dergleichen sind, durch Unsere Landesstelle mit Zuziehung des Landes-Proto-Medici errichtet werden, bey welchen alle Wundärzte des Kreises einverleibt seyn müssen und bey welchen auch die Lehrjungen gehörig aufgedungen und nach verflossener Lehrzeit freygesprochen und mit einem Lehrbriefe versehen werden.“ Jedem Wundarzt wurde ein bestimmtes Gebiet zur Betreuung zugewiesen. Jeder Vorsteher eines chirurgischen Gremiums war verpflichtet, jedes halbe Jahr dem Landschaftsprotomedicus bei einer Geldstrafe von 12 Reichstaler, Bericht zu erstatten. Finanziert wurden die Gremien durch die Aufnahmegebühren neuer Mitglieder, den Mitgliedsbeiträgen und Prüfungstaxen. Diese Beträge wurden nicht nur für die Anschaffung von Instrumenten und Büchern, sondern auch zur Hilfe für in Schwierigkeiten geratene Mitglieder sowie zur Unterstützung von Witwen und Waisen verstorbener Mitglieder verwendet.


Ärztlicher Betreuungsvertrag für Dr. Holzgärtner
Fürst Karl Khevenhüller-Metsch, Schloss Starein,
20.04.1804, Retz, Stadtarchiv (© Elisabeth Vavra)

Unter Kaiser Franz Josef wurde am 30. April 1870 das Reichssanitätsgesetz verabschiedet. Damit wurde eine neue einheitliche, von oben gelenkte Sanitätsverwaltung eingerichtet. Es gab nun auf vier Ebenen Sanitätsorgane bei den politischen Behörden: den obersten Sanitätsrat mit dem Referenten für Sanitätsangelegenheiten im Ministerium des Inneren; die Landessanitätsräte, die Landessanitätsreferenten bei den politischen Landesbehörden; die landesfürstlichen Bezirksärzte bei den Bezirkshauptmannschaften; bei Städten mit eigenen Gemeindestatuten die von den Gemeindevertretungen angestellten Sanitätsorgane. In Folge des Reichssanitätsgesetzes von 1870 wurde ein Landessanitätsrat für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns als beratendes und begutachtendes Organ für die dem Landeschef obliegenden  Sanitätsangelegenheiten des Landes errichtet. Auch die Sanitätsbezirke in Niederösterreich wurden neu geordnet. Diese nach dem Amtssitzen der Bezirksärzte benannten Sanitätsbezirke waren 1871: Amstetten, Bruck an der Leitha (für Bruck an der Leitha und Baden), Hernals, Oberhollabrunn (für Oberhollabrunn und Horn), Korneuburg (für Korneuburg und Großenzersdorf), Krems, Mistelbach, Wiener Neustadt (für Wiener Neustadt und Neunkirchen), St. Pölten (für St. Pölten und Lilienfeld), Scheibbs, Sechshaus, Waidhofen an der Thaya und Zwettl.     

Ordinationsschild Dr. Mathias Weisswasser
Retz, Museum im Bürgerspital (© Peter Böttcher)
Das Reichssanitätsgesetz enthielt nur grundsätzliche Bestimmungen. Die Länder waren angehalten, Durchführungsbestimmungen zu erlassen. In Niederösterreich geschah dies erst  1884 mit dem Landesgesetzblatt Nr. 9 eine Interpretation: „Jeder Gemeinde ist die Verpflichtung auferlegt dahin zu wirken, daß sich in ihrer Mitte die erforderliche Anzahl von Ärzten und Hebammen ansässig mache. Insofern es kleinen Gemeinden nicht möglich ist, zu diesem Zwecke die erforderlichen Mittel aufzubringen, wird es geboten sein, daß mehrere benachbarte Gemeinden für die Ansässigmachung von Ärzten und Hebammen gemeinschaftlich Sorge tragen und, wenn nötig, durch gemeinsam zu bestreitende Entlohnungen sich die erforderliche Hilfe sichern.“ Die Pflichten der Gemeindeärzte umfassten alle medizinischen, hygienischen und sanitätspolizeilichen Belange im weitesten Sinne. Ihre Lage war aber kläglich. Das Gebiet, das sie zu betreuen hatten, war meist groß. Sie hatten kaum ein Einkommen, dass es ihnen erlaubte, sich ein Pferd und einen Wagen zu halten. Denn die Gemeinden zahlten schlecht. Vom Honorar zogen die Gemeinden gleich wieder einen Teil für die Miete der Praxisräume ein. Es gab weder Kündigungsschutz noch Pensionen. Eine Anstellung als Gemeindearzt war daher wenig erstrebenswert.
Ländliche Gebiete blieben weit ins 20. Jahrhundert hinein medizinisch unterversorgt.

Quelle:
Berthold Weinrich unter Mitarbeit von Erwin Plöckinger, Niederösterreichische Ärztechronik. Geschichte der Medizin und der Mediziner Niederösterreichs. 1990.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

3. Juni 2015

#16 Der „Doctor Medicinae“

Sehen wir auf einer medizinischen Illustration des Mittelalters oder der frühen Neuzeit einen Mann mit dem Uringlas in der Hand, so können wir mit 99,99 % sicher sein, dass es sich bei dieser Figur um einen „Bucharzt“ handelt, also um einen Mediziner, der an einer Universität studiert hatte. Neben den Badern (siehe Blogbeitrag #2 im Dezember 2014) und Wundärzten bzw. Chirurgen bildeten sie die dritte Gruppe innerhalb des Berufsstandes, der sich um die Gesundheit der Bevölkerung kümmerte.


Hl. Petrus heilt einen Kranken – Arzt führt eine Harnbeschau durch

Holzschnitt aus: Francesco Petrarca, Von der Artzney bayder Glück,
Augsburg 1532 (© Privatbesitz)

Im Früh- und Hochmittelalter lag die Pflege der Heilkunst in den Händen der Orden. In den Klosterbibliotheken wurden die Werke antiker Ärzte bewahrt und immer wieder kopiert. Die Klosterärzte übten ihre Tätigkeit in den Klöstern, aber auch im Umland aus. Da die Kirche das Sezieren von Leichen verboten hatte, schwand allerdings das Wissen auf dem Gebiet der Anatomie. 1163 wurde auf dem Konzil zu Tours den Priestern ausdrücklich jegliche chirurgische Tätigkeit untersagt; am zweiten Lateranischen Konzil 1215 wurde das Verbot für die Kleriker, sich mit operativer Medizin zu beschäftigen, nochmals bekräftigt. Die Würzburger Diözesansynode 1298 verbot Klerikern auch, Operationen beizuwohnen. Mit diesem Verbot trennten sich die Wege der inneren Medizin und der Chirurgie, auf die Buchärzte nun nur mehr verächtlich hinabblickten.

Für die Herausbildung eines weltlichen Ärztestandes wichtig war die im 13. Jahrhundert einsetzende Trennung des Arztberufes von dem des Apothekers, die erstmals in der „Medizinalordnung“ Kaiser Friedrichs II. 1240 gesetzlich vorgeschrieben wurde. Vor dem 14. Jahrhundert gab es in Deutschland noch keine Hochschulen, an denen Medizin gelehrt wurde. Vorher musste man dazu nach Italien oder Frankreich gehen: Seit dem 10./11. Jahrhundert war die berühmteste Universität die Schule von Salerno, an der während des Mittelalters sogar Frauen zugelassen waren. Weitere medizinische Fakultäten, die gern von Deutschen besucht wurden, waren die im 12. Jahrhundert gegründeten Kollegien an den Hochschulen von Padua und Bologna. In Frankreich bildeten die Universitäten in Montpellier und Paris Zentren der medizinischen Wissenschaft.


Der Doctor
Holzschnitt aus Jost Amman,
Ständebuch, 1568(© Privatbesitz)
Mit dem 14. Jahrhundert besserte sich die Situation in Deutschland: die Universitätsgründungen in Prag (1348), Wien (1365), Heidelberg (1386), Köln (1388) und Erfurt (1392) umfassten auch medizinische Lehrstühle. Dennoch bevorzugte der, der es sich leisten konnte, die Ausbildungsstätten in Italien oder Frankreich. Das Medizinstudium unterschied sich in seinem Aufbau kaum von anderen Studienrichtungen: Die Studenten, die etwa im Alter von vierzehn Jahren mit dem Studium begannen,  absolvierten zunächst einen dreijährigen Vorkurs in den „Septem artes liberales“ – den sieben freien Künsten, die Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie umfassten. Dann folgte das eigentliche Medizinstudium, das meist fünf Jahre dauerte. Gelehrt wurde reines Buchwissen: Die angehenden Mediziner mussten die Schriften der antiken Ärzte und Naturwissenschaftler  (Hippokrates, Galenus, Aristoteles, Dioscorides), der arabischen Autoritäten (z.B. Avicenna) sowie byzantinischer und abendländischer Gelehrter lesen. Sie wurden in Physiologie, Anatomie und Arzneimittellehre unterrichtet sowie in den damals zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Diagnostik: Beobachtung des Patienten (Gesichtsfarbe etc.), Fühlen des Pulses, Harnbeschau usw. Nach drei Jahren erwarben die Studenten das Baccalaureat. Die folgenden zwei Jahre praktizierten sie dann unter der Aufsicht ihrer Lehrer. Abgeschlossen wurde das Studium mit einer Prüfung und einer Disputation. Als selbständige Ärzte durften sie sich erst nach einem einjährigen Praktikum bei einem erfahrenen Arzt oder in einem Hospital niederlassen.

An der Ausbildung änderte sich im 16. Jahrhundert nur wenig. Maßgebend waren die medizinischen Autoritäten der Vergangenheit, deren Erkenntnisse man den Studierenden in den Vorlesungen nahe brachte. Sektionen von Leichen blieben selten. Anatomie lernte man in erster Linie an Hand von Schautafeln. Erleichtert wurde nun allerdings  ihre Verbreitung durch den Buchdruck. Auch der praktische Unterricht am Krankenbett fand nur in geringem Ausmaß statt. Das änderte sich erst im 17. Jahrhundert. Die Unterrichtssprache war weiterhin Latein, was mit zur Exklusivität des Medizinstudiums beitrug. Zwar versuchte bereits Paracelsus die deutsche Sprache in das medizinische Schrifttum einzuführen, er blieb aber ein Einzelfall. Erst im 18. Jahrhundert  begann sie sich langsam durchzusetzen. Im 18. Jahrhundert kam es dann zu einer Spezialisierung der medizinischen Fächer. Für die einzelnen Fachgebiete wurden eigene Lehrstühle eingerichtet.


Der Doctor, Kupferstich aus: Christoph Weigel,
Abbildung der gemein-nützlichen Haupt-Stände,
Regensburg 1698 (© Privatbesitz)
In den Kronländern und damit auch in Niederösterreich herrschte bis ins 18. Jahrhundert hinein ein deutlicher Mangel an akademisch ausgebildeten Ärzten. Nur eine privilegierte Minderheit konnte sich die Kosten eines Medizinstudiums leisten. Die Situation gestaltete sich im 18. Jahrhundert so dramatisch, dass sogar Laien als Totenbeschauer eingesetzt wurden. Die Reformen Maria Theresias auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zielten auf eine Beseitigung dieser Missstände. In den Kronländern sollten nur mehr Ärzte tätig sein, die an einer inländischen Universität ihre Prüfungen abgelegt hatten:

„In den gesamten Erbländern sollen von den Landschaften keine anderen Mediker, Stadt- oder Landphysiker, als welche auf inländischen Universitäten studiert, nach geprüfter Fähigkeit und gründlicher Gelehrsamkeit daselbst die Doktoratswürde erlangt haben und, soviel immer möglich, eingeborene Landskinder sind, irgendwo aufgestellet oder aufgenommen werden. Zur Erreichung dieser heilsamen und gemeinnützigen Absicht aber sollen in jenen Fällen, wo sich eine dergleichen Stadt- oder Landschafts-Erledigung ergeben wird, Ihrer Majestät drei tüchtige Subjekte in Vorschlag gebracht, diese aus den vorgedachtermaßen auf inländischen Universitäten graduierten Personen ausgewählet und hiebei auf die eingeborenen Landeskinder vorzüglich Bedacht getragen, ein Gleiches auch in Ansehung der von den Landschaften besoldeten Chirurgen nach Tunlichkeit beobachtet werden.“ (13. Jänner 1753) 

Ein weiterer wichtiger Schritt bestand auch in einer besseren Ausbildung der Wundärzte, Apotheker und Hebammen, die an den Universitäten nun nach Abschluss ihrer handwerklichen Ausbildung eine Prüfung ablegen mussten. Um den Ärztemangel zu beheben wurden in den Provinzhauptstädten aufbauend auf die Lateinschulen Lyzeen für Land- und Zivilwundärzten eingerichtet, die das Angebot an Universitäten erweitern sollten. 1804 wurde für diese Anstalten eine Studienordnung erlassen, die Zulassung, Studienkurs etc. regelten.

Der Arzt, Josef Schmutzer, um 1840
Vorlage für die Druckserie "Der Mensch und seine Berufe"
Baden, Rollettmuseum (© Privatbesitz)
Quelle: Ernst Königer, Aus der Geschichte der Heilkunst. 1958; Berthold Weinrich unter Mitarbeit von Erwin Plöckinger, Niederösterreichische Ärztechronik. Geschichte der Medizin und der Mediziner Niederösterreichs. 1990.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra